Wann kann die Pflegekasse den Pflegegrad reduzieren?

Stand:
Der festgestellte Pflegegrad gilt nicht für immer. Er kann sich erhöhen oder verringern. Was Sie beachten müssen, wenn die Pflegekasse den Pflegegrad reduzieren will.
Auflistung der einzelnen Pflegegrade mit Erläuterungen

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Feststellung eines Pflegegrades gilt nicht automatisch für den Rest eines Lebens.
  • Der Pflegegrad kann erhöht werden. Die Pflegekasse kann ihn aber auch reduzieren.
  • Um den Pflegegrad zu reduzieren, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.
  • Es gibt Ausnahmen, bei denen eine Rückstufung nicht möglich ist.
On

Höherstufung und Rückstufung: Wann geschieht was?

Wie hoch die Leistungen der Pflegeversicherung sind, richtet sich nach dem festgestellten Pflegegrad. Der Medizinische Dienst (MD) oder ein anderer Gutachterdienst ermittelt ihn in einer Begutachtung. Die Pflegekasse teilt Ihnen dann den Pflegegrad durch einen Bescheid mit. Was Sie beachten sollten, wenn Sie einen Pflegegrad beantragen, erfahren Sie auf einer eigenen Themenseite.

Die Entscheidung über einen Pflegegrad gilt aber nicht automatisch für das ganze Leben: Manchmal verschlechtert sich der Gesundheitszustand der pflegebedürftigen Person und ihre Selbständigkeit und Fähigkeiten nehmen ab. Dann können Sie einen höheren Pflegegrad beantragen, also eine Höherstufung.

Manchmal verbessert sich der Gesundheitszustand aber auch. Wenn die pflegebedürftige Person beispielsweise nach einem Schlaganfall oder einem Unfall Fähigkeiten hinzugewonnen und wieder selbständig laufen oder essen gelernt hat. Oder wenn sich pflegebedürftige Kinder gut entwickeln und Fähigkeiten dazugewinnen. Wichtig: Pflegebedürftige sind dann verpflichtet, der Pflegekasse solche Veränderungen mitzuteilen.

Ergibt ein neues Gutachten einen geringeren Pflegegrad, kann die Pflegekasse ihn reduzieren. Man spricht hier von einer Rückstufung. Dafür müssen allerdings bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein und es gibt eine Ausnahme, in der eine Rückstufung ausgeschlossen ist.

Gut zu wissen: Die folgenden Regelungen gelten für gesetzlich pflegeversicherte Personen, für Privatversicherte gelten sie nicht.

Sie möchten mehr erfahren? Im Ratgeber der Verbraucherzentralen zu Pflegegutachten sind alle Regelungen einfach und verständlich erklärt.

Wann ist eine erneute Begutachtung möglich?

Eine erneute Begutachtung durch den Medizinischen Dienst ist in verschiedenen Fällen möglich:

  1. Teilweise enthält das Erstgutachten einen Hinweis der Gutachter:innen, dass nach einer bestimmten Zeit eine erneute Begutachtung empfohlen wird. Das geschieht, wenn der Eindruck besteht, dass sich der Zustand der pflegebedürftigen Person wieder verbessern wird oder sich Kinder voraussichtlich gut entwickeln werden.
  2. Manchmal werden Pflegeleistungen nur befristet gewährt. Dann veranlasst die Pflegekasse nach Ablauf der Frist automatisch eine erneute Begutachtung.
  3. Wiederholungsbegutachtungen sind auch möglich, wenn die pflegebedürftige Person der Pflegekasse eine Verbesserung ihres Zustandes mitgeteilt hat oder Anhaltspunkte für eine Verbesserung vorliegen, beispielsweise nach einer Operation oder Rehabilitationsmaßnahme.
  4. Eine Wiederholungsbegutachtung erfolgt auch dann, wenn die pflegebedürftige Person einen höheren Pflegegrad beantragt. Wird dem Antrag daraufhin entsprochen, übernimmt die Pflegekasse die höheren Leistungen. Ergibt das Wiederholungsgutachten den gleichen Pflegegrad wie zuvor, wird der Höherstufungsantrag abgelehnt.
    Wurde der höhere Pflegegrad abgelehnt? Dann können Sie sich mit Widerspruch und Klage wehren.
    Es gibt aber auch Fälle, in denen ein Höherstufungsantrag gestellt wurde, das Wiederholungsgutachten aber einen niedrigeren Pflegegrad ergibt als zuvor und die Pflegekasse die Leistungen reduzieren will. Auch dagegen können Sie Widerspruch einlegen.

Tipp:
Um einer Rückstufung vorzubeugen, sollten Sie sich im Pflegestützpunkt beraten lassen, bevor Sie einen Höherstufungsantrag stellen. So können Sie gemeinsam abschätzen, ob tatsächlich eine Veränderung eingetreten ist, die den Pflegegrad beeinflusst. Das ist besonders dann sinnvoll, wenn ein Pflegegrad im Erstgutachten nur ganz knapp erreicht wurde.

Wesentliche Veränderungen der Verhältnisse sind entscheidend

Hat ein erneutes Gutachten ergeben, dass der zuvor ermittelte Pflegegrad nicht mehr vorliegt, will die Pflegekasse die Leistungen reduzieren und das entsprechende Verfahren einleiten.

Die ursprüngliche Feststellung des Pflegegrades und die Bewilligung der Leistungen hatte für die pflegebedürftige Person dauerhafte Wirkung. Die Leistungen wurden nicht nur einmal, sondern auf Dauer gewährt. Das nennt sich "Verwaltungsakt mit Dauerwirkung".

Ein solcher Verwaltungsakt kann laut Gesetz nur aufgehoben werden, wenn eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse vorliegt. Deshalb reicht ein Wiederholungsgutachten, das einen geringeren Pflegegrad als zuvor ergeben hat, allein nicht aus, um den Pflegegrad und die Leistungen zu reduzieren.

Die Pflegekasse muss darlegen, welche wesentliche Veränderung seit der ursprünglichen Bewilligung eingetreten ist. Zum Beispiel, wenn eine pflegebedürftige Person nach einem Unfall die Arme nicht bewegen konnte und deshalb bei der Körperpflege und beim Essen und Trinken Hilfestellung benötigte. Und nun aufgrund von Physio- und Ergotherapie diese Fähigkeiten wieder erlernt wurden und der Hilfebedarf nicht mehr besteht. Oder wenn Therapien, zu denen die pflegebedürftige Person zuvor begleitet werden musste, nun nicht mehr verordnet werden und erforderlich sind.

Wenn Leistungen gekürzt werden: Sie dürfen dazu Stellung nehmen

Pflegeleistungen können nicht einfach reduziert werden – auch nicht durch einen Bescheid. Da eine solche Kürzung in die Rechte der pflegebedürftigen Person eingreift, müssen Betroffene laut Gesetz zunächst angehört werden. Die Pflegekassen schreiben dazu einen Brief, in dem sie mitteilen, dass sie "beabsichtigen, den Pflegegrad zu reduzieren" und geben innerhalb einer Frist die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Werden Sie dazu nicht aufgefordert, heißt das allerdings nicht, dass die Rückstufung unwirksam ist. Die Anhörung kann auch nachgeholt werden. In der Regel erfüllen die Pflegekassen jedoch die Verfahrensregeln und geben Ihnen vor der Rückstufung die Gelegenheit, Stellung zu nehmen.

Vorgehen im Anhörungsverfahren

Sind Sie mit der beabsichtigten Rückstufung nicht einverstanden, teilen Sie dies der Pflegekasse mit und begründen Sie, warum Sie nicht einverstanden sind. Zwei Fragen sind beim Anhörungsverfahren wichtig:

  1. Ist eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse eingetreten? Vergleichen Sie das erste Gutachten und das Wiederholungsgutachten. Geht aus dem Vergleich oder dem Bescheid eine wesentliche Veränderung hervor? Und ist die Veränderung im Gutachten richtig beschrieben worden? Ist das nicht der Fall, sollte dies in der Begründung ausgeführt werden.
  2. Ist die Punktebewertung des Medizinischen Dienstes zum Pflegegrad richtig? Im zweiten Schritt prüfen Sie, auf welcher Grundlage der Medizinische Dienst den Pflegegrad im Wiederholungsgutachten ermittelt hat. Entsprechen die Bewertungen nicht den Tatsachen? Dann sollten Sie diese auflisten und begründen, warum sie falsch sind.

Die Pflegekasse kann auf die Stellungnahme auf zwei Arten reagieren:

  1. Sie gewährt die Leistungen zunächst weiter und prüft die Pflegebedürftigkeit erneut.
  2. Sie erlässt nun den Aufhebungsbescheid.

Gut zu wissen: Sie können die Anhörungsfrist auch verstreichen lassen, ohne sich zu äußern. Auch dann wird die Pflegekasse nach Ablauf der Anhörungsfrist den Aufhebungsbescheid erlassen, gegen den Sie Widerspruch einlegen können.

Ich habe einen Aufhebungsbescheid bekommen – was bedeutet das?

Mit dem Aufhebungsbescheid teilt die Pflegekasse mit, dass sie die Leistungen einstellt oder reduziert. Sie schreibt beispielsweise
"Bei Ihnen wurde festgestellt, dass kein Pflegegrad mehr vorliegt. Wir heben daher unseren Bescheid vom 15.03.2020 auf. Zum 01.06.2024 stellen wir die Zahlung des Pflegegeldes ein."

Oder
"Bei Ihnen wurde festgestellt, dass nur noch der Pflegegrad 2 vorliegt. Wir heben daher unseren Bescheid vom 15.06.2021 auf. Wir zahlen ab dem 01.06.2024 nur noch ein Pflegegeld in Höhe des Pflegegrades 2."

Ich möchte Widerspruch einlegen – wie gehe ich vor?

Sind Sie mit der Entscheidung der Pflegekasse nicht einverstanden, haben Sie ab dem Zugang des Bescheides 1 Monat Zeit, bei der Pflegekasse Widerspruch einzulegen. Fehlt im Bescheid ein Hinweis auf Ihr Widerspruchsrecht, beträgt die Frist 1 Jahr.

Den Widerspruch müssen Sie per Post oder als Fax an die Pflegekasse schicken. Die Verbraucherzentralen empfehlen den Postweg als Einschreiben mit Rückantwort. Wenn Sie den Widerspruch per Fax einlegen, sollten Sie den Sendenachweis ausdrucken und aufbewahren. Es reicht aus, wenn Sie zunächst schreiben:
"Mit Ihrer Entscheidung bin ich nicht einverstanden und lege hiermit Widerspruch ein. Die Begründung reiche ich nach."

Sie sollten auch dann Widerspruch einlegen, wenn Sie schon im Anhörungsverfahren Stellung genommen haben. Zur Begründung können Sie dann auf die Stellungnahme verweisen.

 

Im nächsten Schritt sollten Sie den Widerspruch begründen. Hierfür können Sie so vorgehen, wie unter "Vorgehen im Anhörungsverfahren" beschrieben. Im Anschluss wird ein Widerspruchsgutachten erstellt. Am Ende des Widerspruchsverfahrens bekommen Sie den Widerspruchsbescheid. Sollte der Antrag auch darin abgelehnt werden, können Sie vor dem Sozialgericht klagen.

Sonderfall Bestandschutz

Zum 1. Januar 2017 ist das Pflegesystem umgestellt worden: Aus vormals 3 Pflegestufen wurden 5 Pflegegrade. Für Menschen, die im Zuge der Umstellung von einer Pflegestufe in einen Pflegegrad übergeleitet wurden, gibt es eine Besonderheit: Sie haben Bestandschutz. Das bedeutet, dass nur eine Höherstufung, nicht aber eine Rückstufung möglich ist. Es gibt nur eine Ausnahme: Wenn durch ein neues Gutachten gar kein Pflegegrad mehr ermittelt wird, darf er reduziert werden.

Beispiele:

Herr B. wurde zum 1. Januar 2017 automatisch von Pflegestufe 2 in den Pflegegrad 3 übergeleitet. 2024 wird er erneut begutachtet. Dabei wird nur der Pflegegrad 2 festgestellt. Wegen des Bestandschutzes, ist die Reduzierung ausgeschlossen. Herr B. bekommt weiterhin Leistungen nach dem Pflegegrad 3.

Anders ist die Situation bei Frau A: Sie wurde von Pflegestufe 1 in den Pflegegrad 2 übergeleitet. Bei einer erneuten Begutachtung wird bei ihr kein Pflegegrad mehr festgestellt. Hier ist ausnahmsweise eine Rückstufung möglich. Die Gewährung der Pflegeleistungen kann eingestellt werden. Dies ist die oben erwähnte Ausnahme.

Tipp: Die Bestandschutz-Regelungen können sich insbesondere bei pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen, die von einer Pflegestufe in einen Pflegegrad übergeleitet wurden, finanziell stark auswirken. Für sie kann sich daraus ein lebenslanger Schutz der Pflegeleistungen ergeben.

 

Ratgeber-Tipps

Das Pflegegutachten
Der aktualisierte Ratgeber „Das Pflegegutachten“ der Verbraucherzentrale hilft, sich gut auf den wichtigen Termin mit…
Ein Gesundheitsgerät neben dem Wort Aufruf in einem Ausrufezeichen.

Healy: Vorsicht vor falschen Gesundheitsversprechen

Bei den Verbraucherzentralen haben sich in den letzten Monaten die Beschwerden über das Produkt "Healy" gehäuft, weil selbstständige „Healy“-Vertriebspartner:innen behaupten, das Produkt würde etwa bei Multipler Sklerose, Depressionen, ADHS oder Hauterkrankungen helfen. Diese Heilsversprechen sind nicht haltbar.
Lachender Mann mit Geldscheinen in der Hand

Vergleich mit primaholding-Unternehmen: Letzte Chance für Verbraucher:innen

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat mit primastrom, voxenergie und nowenergy einen Vergleich geschlossen. Es ging dabei um überhöhte Preise und unangemessene Vertragslaufzeiten. Noch bis zum 31. Dezember 2024 können Sie sich an die Unternehmen wenden und sich auf den Vergleich berufen.
Foto einer Frau, die auf einem Sofa sitzt und bestürzt in ein geöffnetes Paket schaut.

Shoppen auf Online-Marktplätzen: Verbraucher:innen erwarten sichere Produkte

Die Mehrheit der Verbraucher:innen erwartet, dass die Produkte auf Online-Marktplätzen sicher und gesetzkonform sind – und sehen die Plattformbetreiber in der Verantwortung. Das zeigt eine Befragung des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv). Aktuell sind Plattformen nicht in der Pflicht, Produktsicherheit zu gewährleisten.